Zur
Erinnerung an Karsten Karstens
Der
Tod unseres lieben alten Freundes Karsten aus verträumten
Pennäler Tagen macht uns unendlich traurig,
zeigt uns aber auch die Endlichkeit allen Daseins
und hält die Zeit an für die Erinnerung.
Die schon von den Alten als erstrebenswerter Abschnitt
des Lebens beschworene Vita contemplativa, die Karstens
schon 1956 als junger Mann bei einem Familientreffen
in Lübeck anlässlich eines Jubiläums
trefflich in seiner Laudatio herausgestellt hat,
umfängt uns - und Karsten hat sie angeregt
und ist heute ihr Mittelpunkt. In unserer Abitur
Chronik von 1955 kann man über ihn - fast prophetisch
- lesen:
"Von
seines Alters abgeklärten Höhen
Kann er auch schon die Tiefen sehen."
So
wirkte er auf uns, als er in der Oberprima aus der
"Großstadt" Lübeck zu uns in
die "Provinz" kam. In der Erinnerung war
er immer etwas älter und erfahrener. Wir nutzten
das ganz selbstverständlich: Auf unserer letzten
Klassenfahrt an die Mosel verschaffte er uns als
"Assessor Vogel" eine Besichtigung der
Zigarettenfabrik Overstolz in Köln; und für
die Abi-Feier kam auf seine Veranlassung eine Jazz
Combo aus Lübeck für den musikalischen
Rahmen.
Ab
Herbst 1955 studierten wir in München an der
TH Bauwesen. Wir erstanden ein Adler Trumpf Sport
Cabriolet, Baujahr 1936, das irgendwie den 2. Weltkrieg
überstanden hatte und pendelten damit zwischen
Lübeck und München, bis es irgendwo bei
Fulda sein Ende fand. Karsten fuhr die meiste Zeit,
weil er den älteren Führerschein und schon
längere Fahrpraxis hatte oder begrüßte
auf der Klarinette die Anwohner an den Stationen
unserer Fahrten. Er blieb sicher auch dort in aufmerksamer
Erinnerung. Einem ungeplanten spontanen Theaterbesuch
in Hamburg verhalf er trotz "Räuberzivil"
zu der notwendigen Seriosität, in dem er sich
im nahen Hauptbahnhof eine englische Zeitung kaufte,
gut sichtbar in die Tasche seines verblichenen Trenchcoats
steckte und so den englischen, etwas versponnenen
und sicherlich von einem Hamburger Logenschließer
nicht ansprechbaren alten Gentleman markierte. Wohl
auch deswegen war er immer wieder gern gesehener
Gast auf den Partys des Kultur Attaché des
Britischen Generalkonsulats in München, auf
denen sich die Prominenz dieses Genres ein Stelldichein
gab.
Als
Sohn einer Lübecker Hanseaten Familie hatte
er wohl auch die Sehnsucht nach dem Meere im Blut.
Denn kaum der Schule entronnen, fuhr er 1956 in
den ersten Semesterferien als technischer Assistent
auf einem Frachter nach Südamerika. Bald gab
er das ungeliebte Studium eines Bauingenieurs auf
und vertiefte sich in seine alte heimliche Liebe,
die Archäologie. Inzwischen zum Ehemann herangereift,
verbrachte er viel Zeit mit seiner Gattin Irene
bei Ausgrabungen an historischen Stätten, zum
Beispiel im Zweistromland. Seine Akribie und Liebe
zum Detail brachten ihm den Doktortitel für
seine Arbeiten zur Vergleichbarkeit und historischen
Einordnung von Tonscherben. Die Fachwelt hatte einen
neuen Enthusiasten.
Als
ihn ein Leiden seiner Familie einzuholen drohte,
wurden die archäologischen Reisen aufgegeben,
und Karsten übernahm eine neue Aufgabe: Die
Leitung des Heimatmuseums Waldkraiburg, in dem er
ein Glasmuseum aufbaute. 1999 ging er in den verdienten
Ruhestand, als Senior hoch geachtet.
Als
seine Krankheit ihm immer größere Schwierigkeiten
machte, zog er mit seiner unermüdlichen, treusorgenden
Gattin Irene an den Plattensee, um sich durch eine
dort entwickelte neue Behandlungsmethode eine Verbesserung
seines Gesundheitszustandes zu verschaffen. Das
Leben wurde wieder leichter, aber es war kein Allheilmittel.
Als die Wirksamkeit nachließ, zog es ihn nach
Aschau am Inn zurück, in die Nähe seiner
alten Wirkungsstätte in Waldkraiburg. Dort
ist er am 5. April 2013 gestorben.
Wir
werden ihn als unseren älteren Freund in steter
Erinnerung behalten, dem es auch zusteht voranzugehen,
wenn es darum geht, von abgeklärten Höhen
auf die Welt herunterzusehen.
Für
die OI-G von 1955 der Lauenburgischen Gelehrtenschule
in Ratzeburg
Rüdiger Linde
.München,
im April 2013
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